Bildbesprechung: Insel-Leben

Bildbesprechung: Insel-Leben

Insel-Leben, Foto Klaus Schoerner

Eine mit Betonplatten gepflasterte Fläche, darauf eine kreisrunde Verkehrsinsel und eine alte, oben verzweigte Straßenlaterne im warmen Sonnenlicht eines Spätnachmittags. Das Design der Laterne könnte aus den frühen 1970er Jahren stammen. Die Lackierung des Masts ist an vielen Stellen von Rostflecken durchbrochen. Man fragt sich, ob sie wohl noch leuchtet. War das hier mal eine Straße? Diese wäre wohl eher asphaltiert und nicht betoniert. Schwarzes, aus den Betonfugen hervorquellendes Dichtungsmaterial und Reste einer weißen Kachelung an der Basis der Verkehrsinsel lassen vermuten, dass hier Flüssigkeit daran gehindert werden sollte, ins Erdreich zu sickern. Was also ist das hier? Ein ehemaliges Industriegelände, eine Kaserne, eine Tankstelle, ein Parkplatz? 

Verkehrsinsel mit alter Laterne. Foto Klaus Schoerner

Insel-Leben. Das bei dieser Aufnahme verwendete 2,8/21 mm ZEISS Biogon an der LEICA M9 unterstützt die Bildaussage durch seine geringe Verzeichnung und die hohe Detailauflösung, die im Originalfoto jedes einzelne Blättchen der Hecke im Hintergrund noch erkennbar scharf abbildet.

Der Bildausschnitt ist weit gefasst, lässt viel Raum um Verkehrsinsel und Laterne herum und vermeidet so jegliche Dynamik, die durch einen engen Beschnitt hätte entstehen können. Man hat den Eindruck, dass sich das unspektakuläre, flächige Umfeld nach links und rechts weiter fortsetzt. Das Foto ist ein leises Bild, dokumentarisch und formal so ruhig gestaltet, dass die Langeweile dieser vor sich hin dösenden Szenerie fast mit Händen zu greifen ist. Die Bildgestaltung signalisiert: Hier passiert nichts Besonderes. Tagein, tagaus, immer gleich. Hört man hier noch Autos vorbeifahren oder befinden wir uns so weit außerhalb, dass hier nur die Natur zu hören ist?

Aber halt: Beim genauen Hinsehen sind da doch Bilddetails, die nicht so ganz zu der vermeintlichen Bildaussage zu passen scheinen. Die Szenerie wirkt verlassen, aber auf den zweiten Blick zugleich auch seltsam belebt. Die Bodenfläche ist alt, aber leidlich intakt und wirkt wie vor kurzem gefegt. Die Natur hat diesen Bereich noch nicht zurückerobert. Nur wenig Grün sprießt durch die Fugen und Risse. Der Randbereich der Verkehrsinsel weist Schäden auf, loses Steinmaterial wurde aber offensichtlich weggeräumt. Im Hintergrund fällt das Auge des Betrachters auf eine hohe Hecke, die den Blick auf die weitere Umgebung verwehrt und das Interesse zurück auf die Verkehrsinsel lenkt. Aber eines gibt sie doch preis: ihr regelmäßiger Wuchs verrät, dass hier doch gelegentlich ein Grünschnitt gemacht wird. Das Areal wird offensichtlich gepflegt. Irgendjemand hat sogar bepflanzte Blumenkübel auf die Insel gestellt, in die noch zusätzlich dekorative Sperrholz-Sonnenblumen, Plastik-Windrädchen und ein stilisiertes Vogelhäuschen gesteckt wurden. Im warmen Sonnenlicht entsteht hier in der unteren Bildmitte eine fast kindlich-heitere Atmosphäre, die den Blick des Betrachters aus dem tristen Umfeld auf sich zieht. Die Bepflanzung der Kübel ist nicht vertrocknet und der sich darin äußernde Wille zur Verschönerung lässt vermuten, dass hier jemand wohnt. Aber wer mag das sein, der hier versucht, mit ordnender Hand, Topfpflanzen und etwas Dekoration Wohnlichkeit zu schaffen? Und wie mag sein Haus wohl aussehen in diesem ungewöhnlichen Umfeld?

Das Foto soll Fragen aufwerfen, den Betrachter dazu anregen, sich in die Bilddetails einzulesen und zu einer Schlussfolgerung zu gelangen. Und an dieser Stelle entlarvt sich seine Ambivalenz: Die dokumentarische Aussage rückt in den Hintergrund. Es ist egal, um was für ein Areal es sich hier tatsächlich handelt, ob hier jemand wohnt und wer das ist. Das Ergebnis kann von Betrachter zu Betrachter unterschiedlich ausfallen, denn die Geschichte, zu der das Bild mit seinen skurrilen Details animiert, bindet den Betrachter mit ein und wird so zum individuellen Kopfkino.

Copyright 2017 by Klaus Schörner / www.bonnescape.de


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