Die Geschichte zum Foto: Bapak Reja
Bapak Reja war ein freundlicher und humorvoller Mann, obwohl das Leben es nicht immer gut mit ihm gemeint hatte. Zeitlebens war er Reisbauer und mit seinen etwa 75 Jahren Zeitzeuge wechselvoller Entwicklungen auf der Insel Java gewesen. Sein exaktes Alter wusste er nicht. Mit der Geburtsbeurkundung hatte man es auf dem Land früher nicht so genau genommen. Die Familien waren oft kinderreich, Papier-Dokumente hielten sich in dem tropischen Klima nicht lange und das Feiern von persönlichen Geburtstagen war eine dieser neumodischen Angewohnheiten aus dem Westen.
Zudem hatte man sich in seiner Jugendzeit noch nach dem javanischen 5-Tage-Kalender gerichtet, die Jahre nach dem islamischen Kalender gezählt und die Umrechnung in den heute gültigen Kalender war kompliziert. Als Jugendlicher hatte Bapak Reja noch die letzten Jahre Koexistenz der javanischen Fürstenhäuser und der holländischen Kolonialregierung miterlebt, bevor Niederländisch-Indien im zweiten Weltkrieg durch japanische Truppen besetzt wurde und die ehemaligen Kolonialherren das Weite suchten oder in Internierungslagern verschwanden. An die Kapitulation der japanischen Besatzer 1945 und das plötzlich entstandene Machtvakuum, das die Unabhängigkeitsbewegung dazu nutzte, um die Republik Indonesien zu proklamieren, konnte er sich noch erinnern. Als die Niederländer kurze Zeit später versuchten, mit Unterstützung der Briten ihren Platz als Kolonialmacht wieder einzunehmen, waren sie auf heftigen Widerstand gestoßen. Die Erschütterungen durch die Bombenangriffe der britischen Luftwaffe auf die Hauptstadt der jungen Republik waren 25 km weit bis in sein Dorf zu spüren gewesen. In den Folgejahren hatte Bapak Reja die bittere Armut der Anfangszeit unter Präsident Sukarno miterlebt und erinnerte sich noch an den kommunistischen Putsch 1965 und die Zerschlagung der kommunistischen Bewegung in den Wochen danach, als immer wieder Leichen an seinem Dorf vorbei den Fluss hinab trieben. Seit den siebziger Jahren hatten sich in den javanischen Provinzen allmählich politisch und gesellschaftlich stabile Verhältnisse gebildet, die ein bescheidenes Auskommen ermöglichten.
Bapak Rejas erste Frau war schon vor Jahren gestorben. Zu seinen drei Kindern, die nach Jakarta gezogen waren und eigene Familien gegründet hatten, hatte er kaum noch Kontakt. In einer Gesellschaft, in der die Kinder traditionell die Altersversorgung ihrer Eltern übernehmen, war das ein Problem. Bapak Reja besaß ein kleines Grundstück, auf dem sein im Stil traditioneller javanischer Bauernhäuser errichtetes Haus stand, und lebte in sehr einfachen Verhältnissen im wesentlichen von dem Erlös, den die Nachbarn mit den Früchten seiner Kokospalmen und seinem kleinen Reisfeld erwirtschafteten und 1:1 mit ihm teilten.
Oben: Bapak Reja und seine Frau sitzen auf den Stufen vor ihrem Haus. Scan einer Papiervergrößerung (Brovira). Aufnahme aus dem Jahr 1999 im 6x6-Format mit Exakta 66 Mod 2, Objektiv Schneider Kreuznach 2,8/80 mm. Ilford FP4, Entwicklung in Perceptol 3:1, Selen-Tonung.
Bapak Reja hatte Humor. Bereits seit seiner Jugend war er anlässlich von Dorffesten oft als Ketoprak-Darsteller aufgetreten und hatte bei dieser Variante des javanischen Volkstheaters stets einen Dagelan, einen Spaßmacher, verkörpert. Bapak Reja konnte die Menschen zum Lachen bringen. Und so fiel es ihm trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht schwer, eine neue Ehefrau zu finden, die deutlich jünger war als er selbst. Mit ihr verbrachte er seine letzten Lebensjahre. Bapak Reja ist inzwischen verstorben. Das Foto aus dem Jahr 1999 zeigt ihn zusammen mit seiner zweiten Ehefrau auf den Stufen seines Hauses.
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melanie k (Freitag, 07 April 2017 11:37)
Sehr schöner Artikel.
Gerne mehr von solchen Geschichten :-)
plutarch (Samstag, 07 September 2019 19:58)
So entführt Fotografie in eine andere Kultur und eine andere Zeit. Schön fotografiert und schön geschrieben. Wunderbar!
Jost Müller (Freitag, 09 April 2021 13:03)
Tolle Story. Ich liebe das, wenn man Informationen zum Hintergrund eines Fotos bekommt. Danke dafür!
Jost
HJ (Sonntag, 05 September 2021 10:31)
Zeit vergeht, Menschen vergehen, und nur das Bild bleibt als sichtbares Dokument dafür, dass es sie gab und wie sie aussahen. Ein gelungenes Foto und eine nachdenklich machende Geschichte.
Einen schönen Sonntag wünscht Hajo