Wie teste ich die Verschlusszeiten meiner analogen Kamera?
Materialermüdung, Defekte, Abrieb oder gealterte Schmiermittel können in einem Kameraverschluss dafür sorgen, dass die Belichtungszeiten nicht mehr mit den Sollwerten übereinstimmen. Wie kann ich Fehlbelichtungen meiner Filme vermeiden und zugleich prüfen, ob meine Kamera eine Wartung benötigt?
Ältere mechanische Kameraverschlüsse bilden die einzelnen Belichtungszeiten oft nicht mehr so präzise wie am ersten Tag. Sowohl eine intensive Nutzung der Kamera als auch ein zu seltener Gebrauch können im Laufe der Zeit zu abweichenden Werten führen, die zunächst vielleicht gar nicht auffallen. Daher macht es Sinn, gelegentlich zu kontrollieren, ob alles noch im Sollbereich ist. Zumal dann, wenn die Kamera nach längerer Pause mal wieder zum anspruchsvollen Fotografieren verwendet werden soll. Wenn ich weiß, welche Verschlusszeiten von dem eingestellten Wert wie weit abweichen, kann ich bei der Belichtungsmessung Korrekturfaktoren anwenden und damit vermeiden, dass meine Filme fehlerhaft belichtet werden. Alternativ kann ich einen Wartungs- oder Reparaturbedarf erkennen, wenn die Abweichungen zu groß sind oder fortschreiten, oder den Erfolg einer Wartung feststellen.
Vorgehensweise beim Messen
Die Genauigkeit eines Kameraverschlusses kann man auf unterschiedliche Weise prüfen. So könnte ich beispielsweise ein oder zwei Filme opfern, alle Verschlusszeiten durchspielen und dann nach der Entwicklung schauen, ob die Belichtungsergebnisse plausibel sind. Aber zum einen ist Film eine kostspielige Ressource, und zum anderen erhalte ich genauere Ergebnisse, wenn ich direkt am Verschluss der Kamera die Dauer des durchgelassenen Lichtes messe. Ich verwende dazu ein Smartphone mit der App "Shutter-Speed", die es für IOS und Android zum kostenlosen Download gibt. Die App ist in wenigen Sekunden installiert und nutzt das Mikrophon des Handys, um die Dauer jeder Verschlusszeit anhand ihres Geräusches akustisch zu messen. Ich bin immer wieder erstaunt, dass das trotz der zum Teil unterschiedlichen Verschlussgeräusche ganz gut funktioniert, bei den längeren Zeiten besser als bei den kurzen. Noch exakter geht es, wenn man die App mit dem sogenannten PhotoPlug kombiniert. Dabei handelt es sich um eine Fotozelle mit Klinkenstecker, die – falls nötig mit Adapter – in den Kopfhöreranschluss des Smartphone gestöpselt wird. Während die Kamera auf eine Lichtquelle gerichtet ist, halte ich die Fotozelle bei geöffneter Kamerarückwand wenige Zentimeter hinter den Kameraverschluss, schalte dann die App ein und löse die Kamera aus. Dabei wird dann die Zeit erfasst, in der Licht auf die Fotozelle trifft, und als Messkurve auf dem Display des Smartphone abgebildet.
Oben: Mit der App "Shutter Speed" und dem PhotoPlug für die Kopfhörerbuchse lassen sich mit dem Smartphone Kameraverschlusszeiten prüfen.
Oben: Prüfen der manuell einstellbaren Verschlusszeiten am Tuchschlitzverschluss einer Pentax ES mit einem einfachen Messaufbau vor einer Lichtquelle. Vorsicht: Zu keiner Zeit darf irgendetwas in den Bewegungsbereich des Verschlusses hineinragen!
Oben: Messaufbau zum Prüfen der Verschlusszeiten eines Compur-Zentralverschlusses in einer über 100 Jahre alten ICA ATOM Plattenkamera. Als Lichtquelle dient hier der rückseitig von einer dimmbaren Halogenlampe erhellte Bildschirm eines Reflecta Diamator.
Lesen der Messkurve
Die Kurve bildet von links nach rechts den zeitlichen Verlauf der Messung ab. Dementsprechend erscheinen lange Belichtungszeiten langgezogen und kurze Zeiten komprimiert. Um den wesentlichen Teil der Kurve optimal beurteilen zu können, ziehe ich die Darstellung mit der "Pinch-to-Zoom"-Geste horizontal soweit zusammen oder auseinander, dass beide Ausschläge auf dem Display gut zu erkennen sind. Dazu lege ich zwei Finger (z.B. Daumen und Zeigefinger) auf das Display und spreize diese dann über das Glas gleitend auseinander oder zurück, um den Zoomfaktor beliebig anzupassen. Typischerweise bildet die Kurve einen Maximalausschlag nach unten und danach einen nach oben, an denen man den Zeitpunkt der Öffnung und den der Schließung erkennt. Zum Messen dieser Zeitspanne ziehe ich nun die beiden Messlinien mit den blauen Anfasspunkten auf den vorderen und den hinteren Peak. Genauer gesagt, soll man laut Anleitung die Linien genau an den Punkten platzieren, an denen die Senkung bzw. Steigung der Kurve beginnt.
Oben: Sind die Messlinien an den Wendepunkten platziert, an denen die Kurve zum Peak hin abfällt oder ansteigt, wird rechts unten die gemessene Belichtungszeit angezeigt. Eine eventuelle Abweichung von der Sollbelichtungszeit (links unten in blau) sieht man darunter in Drittel-Lichtwert- bzw. Blenden-Stufen.
Auswertung der Messung
Rechts unten wird nun die gemessene Verschlusszeit angezeigt. Darunter sehe ich die Abweichung in Drittel-Blendenstufen. Habe ich unten links (in blau) die Sollverschlusszeit ausgewählt, kann ich die angezeigte Abweichung als Korrekturwert nutzen, um die Belichtung des Films anzupassen. Das Bedienungskonzept der App sieht vor, dass man die Messwerte und die Abweichungen zu jeder einzelnen Verschlusszeit über den Button "Save Measurement" in einer Liste erfasst, die man vorher im Menü "Back/New Record" unter der Kamerabezeichnung angelegt hat. Bei der Auswahl der Sollbelichtungszeit kann man dazu mit "Alt" eine Verschlusszeitenreihe wählen, wie sie bei alten Kameraexemplaren bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts üblich war. Unter "Neu" findet man dagegen die heute gängige Staffelung.
Oben: Ergebnisliste mit den Sollwerten, den gemessenen Zeiten und den jeweiligen Abweichungen in Drittel-Blendenstufen (-2 bedeutet -2/3 Blende). Ein Minuszeichen deutet an, dass unterbelichtet (also die Blende geschlossen) werden muss, um die Abweichung zu kompensieren. Das Ergebnis zur 1/250 Sek. ist irreführend. Tatsächlich ist die Sollzeit der Kamera 1/300 Sek., diese gibt es in der Auswahlliste der App aber nicht.
Tipps zur Fehlervermeidung
Lichtquelle
Der Helligkeitsunterschied zwischen Lichtquelle und Umgebungslicht beeinflusst die Aussagekraft der Messkurve. Ist das Umfeld der Messung im Vergleich zur Lichtquelle zu hell, wird die Messung durch Rauschen überlagert und sorgt für eine undeutliche Kurvenbildung. Ist dagegen die Lichtquelle zu hell, können die Kurven-Peaks außerhalb der Smartphone-Anzeige landen, so dass man zumindest die zweite Messlinie nicht punktgenau positionieren kann. Zoomen hilft dabei nicht weiter, da nur horizontal skaliert wird. Optimal ist, wenn die Lichtquelle dimmbar ist und an das Umgebungslicht angepasst werden kann, so dass die Messkurve vollständig abgebildet wird. Halogen-, LED- oder Glühlampenlicht eignen sich für die Messung am besten. Licht aus einer Leuchtstoffröhre oder Monitor-Licht machen die Messkurve durch ihr hochfrequentes Flackern undeutlich.
Steckerverbindung
Der Klinkenstecker muss bis zum Anschlag in den Kopfhöreranschluss eingestöpselt werden. Ist die Handyhülle an der betreffenden Stelle im Weg, sollte man sie entfernen. Neuere Smartphones verfügen eventuell über keine Kopfhörerbuchse. In dem Fall wird ein kurzes Adapterkabel benötigt.
Sicherheitshinweis
Um störendes Umgebungslicht bei der Messung gering zu halten, soll sich die Fotozelle des PhotoPlug nah beim zu messenden Verschluss befinden. Er darf aber zu keiner Zeit in den Bewegungsbereich des Kameraverschlusses hineinragen! Dieser könnte sonst nachhaltig beschädigt werden.
Und was mache ich nun mit den ermittelten Messwerten?
Negativer Korrekturwert
Materialermüdung, Federn verlieren ihre Spannkraft oder Zahnradgetriebe kämpfen sich durch zunehmend verharzendes und durch Abrieb verschmutztes Schmiermittel: Meist verändern sich Verschlusszeiten in Richtung Plus, das heißt, sie werden länger und der Film bekommt mehr Licht als gewünscht. In solchen Fällen kann man durch Schließen der Blende, also durch eine Minus-Korrektur, die Überbelichtung kompensieren oder gleich eine andere, exaktere Verschlusszeit wählen. Als Gedankenstütze kann man die Ergebnisliste der Shutter Speed App ausdrucken und in der Fototasche griffbereit halten. Der Korrekturwert ist in Drittel-Blendenstufen angegeben, das heisst, bei einem Wert von -2 müsste die Blende um eine 2/3 Stufe geschlossen werden. Bei Objektiven ohne Drittelrastung nähert man sich mit einer halben oder ganzen Blendenstufe an.
Sind die Abweichungen hoch oder zunehmend, sollte man allerdings einen Werkstattaufenthalt in Betracht ziehen. Allein eine Reinigung und Neuschmierung kann das Problem oft schon deutlich mildern. Bei alten Compur-Verschlüssen mache ich das normalerweise selbst. Meine Vorgehensweise habe ich in meinem Artikel zum Heliar I im Abschnitt "Instandsetzung" beschrieben.
Oben: Nahezu perfektes Ergebnis bei der Überprüfung der 1/5 Sekunde.
Positiver Korrekturwert
Das Schnellerwerden einer Verschlusszeit kommt seltener vor. Oft liegt dann ein Ausfall der eingestellten Zeit vor, so dass tatsächlich eine benachbarte kürzere Belichtungszeit abläuft. Im besten Fall ist das Langzeitenuhrwerk mit verharztem Fett derart verklebt, dass es übersprungen und durch eine Kurzzeit ersetzt wird. Schlimmstenfalls sind mechanische Teile verschlissen, so dass nicht mehr alle Zeiten gebildet werden können. Man sollte dann eine Reparatur in Betracht ziehen. Aber auch eine zu kurz ablaufende Belichtungszeit lässt sich oft durch Öffnen der Blende um den angegebenen Korrekturwert noch kompensieren, so dass man mit der Kamera fotografieren kann.
Fazit
Es macht Sinn, die mechanischen Verschlüsse alter analoger Kameras von Zeit zu Zeit auf Einhalten der Sollbelichtungszeiten zu überprüfen. Damit lässt sich Reinigungs- bzw. Reparaturbedarf rechtzeitig erkennen und möglicherweise eine ungewollte Fehlbelichtung der Filme vermeiden. Ich verwende dazu seit einiger Zeit die Shutter Speed App, die man im App Store kostenlos herunterladen kann. Die App nutzt das Mikrofon des Smartphone zum akustischen Messen der Kameraverschlusszeiten. Mit dem optional erhältlichen PhotoPlug, ein Klinkenstecker mit Fotozelle, kann die App alternativ auch für optische Messungen verwendet werden. Dazu wird der PhotoPlug in die Kopfhörerbuchse des Smartphone gestöpselt oder an diese adaptiert. Für die Messung ist eine geeignete Relation von Messlicht und Umgebungslicht erforderlich, damit das Messergebnis mit einer klaren Kurve ohne Rauschen abgebildet wird. Gelingt das, lassen sich aussagekräftige Messergebnisse erreichen.
Der PhotoPlug ist im Online Shop des Herstellers www.filmomat.eu oder im Fotofachhandel erhältlich. Ich habe mein Exemplar für 41 € bei Fotoimpex gekauft. Das Gerät kommt mit Bedienungsanleitung in einer kleinen schwarzen, mit Schaumstoff gepolsterten Kartonbox.
Copyright 2022 by Klaus Schörner / www.bonnescape.de
Screendesign Shutter Speed App: Copyright by Lukas Fritz / Filmomat GmbH
Hinweis: Ich habe keine Verbindung zum Hersteller der hier beschriebenen Produkte, erhalte keine materielle Vergütung für diesen Bericht und meine Verbindung zum genannten Fachhandel beschränkt sich darauf, dass ich mein Exemplar dort zum ganz normalen Preis gekauft habe. Mein Bericht gibt unbeeinflusst meinen Eindruck von und meine Erfahrungen mit dem beschriebenen Produkt wieder.
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Tobias Becker (Freitag, 11 November 2022 13:09)
Super Tipp mit der Shutter App! So konnte ich wenigstens annähernd die rätselhafte Verschlusszeitenskala auf dem alten Otto Lund Paris Verschluss bei meiner Watson und Sons Stereokamera eingrenzen. Danke dafür
Hans-Ludwig Beinsen-Ruf (Donnerstag, 24 November 2022 20:39)
Das ist ohne Zweifel ein guter Weg, die Verschlussgenauigkeit zu überprüfen, also von daher "Daumen hoch"! Mir persönlich (als Analog-Dinosaurier) allerdings widerstrebt es, mit Handy-Mikrophon und App zu werkeln. Stattdessen habe ich mal Verschlusszeiten via Plattenspieler geprüft: eingeschaltete Taschenlampe senkrecht auf Filmkassette in der GF-Kamera positioniert, PE-Papier auf Plattenspieler mit 33 U/Min (ab hier natürlich in der DuKa), Verschluss ausgelöst, Papier entwickelt und die geschwärzte Kurve gemessen, (gesamter Kreisumfang =2 mal Pi mal Radius) darüber finde ich die effektive Zeit der Verschlussöffnung und bleibe in der analogen Umgebung. (OK, der Taschenrechner ist digital...)
Leon (Samstag, 18 November 2023 11:20)
Etwas für Technikverliebte, aber es hat auch einen Praxisnutzen. Endlich kenne ich bei meiner Pentacon Six die Verschlusszeiten, die nicht mehr exakt sind, um sie zu vermeiden oder zu korrigieren. Bis auf die 1/125 (-3) ist es höchstens mal ein Drittelwert minus.
Thora (Samstag, 06 Juli 2024 05:47)
Wer misst, misst Mist. Es wird von Peak zu Peak gemessen, vom Beginn des Signals bis zum Beginn der Abklingkurve.
Armin (Samstag, 06 Juli 2024 16:59)
Ja, Physik lässt grüßen. :-)
Hier, muss man aber sagen, ist die Anweisung des Herstellers völlig in Ordnung. Ist wahrscheinlich den Limitierungen des Smartphones geschuldet. Da kann man, speziell bei kurzen Verschlusszeiten, gar nicht weit genug reinzoomen, um den Messpunkt zu setzen und zugleich den Peak überhaupt noch zu sehen.
Zudem verläuft die Anstiegskurve zum zweiten Peak zumeist fast senkrecht. Wie hoch wird also eine vermeintliche Messabweichung sein? Vielleicht irgendwo zwischen 0% und 8%. Höchstens. Und da kann ich – und ich hätte nicht gedacht, dass mir das als altem Physiker mal über die Lippen läuft – getrost sagen: Es ist egal. So was nennt man angewandte Physik. Was nützt mir eine Messgenauigkeit von wenigen Prozentpunkten, wenn mein fotografisches Belichtungskorrektiv im besten Fall mit dem Holzhammer von 1/3 Blende darauf reagieren kann.
Liebe Samstagsgrüße
Armin
Klaus (admin) (Sonntag, 07 Juli 2024 10:49)
@Armin: Völlig richtig. Der Graph lässt sich nach dem Hineinzoomen nur horizontal verschieben, so dass sich die Peaks schnell außerhalb des Bildfeldes befinden. Wenn man berücksichtigt, dass die von der App am Ende gegebenen Korrekturempfehlungen auf Drittelblenden gerundet sind, ist die Genauigkeit der Messung mehr als adäquat.
Dan (Mittwoch, 17 Juli 2024 10:19)
I bought this device some time ago and was able to locate some deviations in my cameras. Now that I know about them, I can respond with appropriate corrective measures. In my experience the results are sufficiently precise. What cannot of course be captured with this point measurement is irregularly moving shutters. I have an issue with a Canon F1. The images have a dark stripe at the edge. It seems that the shutter closes too quickly at the end. This can only be seen by looking at the entire area with a test film.
Rado (Sonntag, 11 August 2024 11:24)
Was Dan beschreibt, ist kein seltenes Problem, besonders bei horizontal ablaufenden Tuchschlitzverschlüssen. Ich habe tatsächlich 3 Cams mit unregelmäßigem Ablauf. Den siehst du mit der Punktmessung mit Photoplug oder mit der akustischen Messung mit der App natürlich nicht. Aber das ist ja auch nicht das Ziel bei einer Messung der Zeiten.
Jens Thoes (Mittwoch, 28 August 2024 09:55)
Hallo,
ich nutze die App und den Sensor schon lange.
Für erste Anhaltswerte, ob alle OK is, reicht es aus.
Wenn man wirklich wissen will, ob der Verschluss genau arbeitet, müssen andere Meßmethoden her.
VG,
Jens