Architekturfotografie: Shift oder Photoshop?

Architekturfotografie: Shift oder Photoshop?

Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? Foto: Andreas Fein

Welches Verfahren zur Perspektivkorrektur ist besser?

In der Architekturfotografie gilt das Shifting gemeinhin als die angemessene Technik zur Perspektiv-Korrektur bzw. zur Vermeidung von "stürzenden Linien" während der Aufnahme. Man benötigt dafür ein entsprechendes Shift-Objektiv oder eine Kamera, die eine Verschiebung von Bild- und Objektiv-Ebene unabhängig voneinander zulässt. Stehen derartige Gerätschaften nicht zur Verfügung, bleibt nur das nachträgliche "Entzerren" mit der Bildbearbeitungs-Software am Rechner. Da dieses Prozedere oft mit erheblicher Interpolation einhergeht, die sich durch künstliches Herein- bzw. Herausrechnen von Pixeln nicht eben positiv auf die Detailzeichnung des Bildes auswirkt, versucht man derartige Eingriffe in die Pixelstruktur eines Fotos normalerweise zu vermeiden. Es ist so ein bisschen was wie das Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub: Einerseits wird ein sauber ausgerichtetes Architekturfoto gewünscht, andererseits hinterlässt jegliche Korrektur ihre destruktiven Spuren im Tonwertspektrum und in der Detailzeichnung des Bildes. Es scheint also viel für das Shifting bei der Aufnahme zu sprechen. 

Test: Wie destruktiv ist das Entzerren per Bildbearbeitung?

Ich nehme den Erwerb des allgemein hoch gelobten AF-S NIKKOR 14–24 mm 1:2,8G ED zum Anlass, um beide Vorgehensweisen mal im Hinblick auf die Detailwiedergabe in den Fotos miteinander zu vergleichen. Ein mit meinem PC-E NIKKOR 24 mm 1:3,5D ED aufgenommenes, per Shift korrigiertes Foto soll im Anschluss mit gleicher Kamera und Position mit dem 14-24er bei Brennweite 24 mm erneut fotografiert werden, um am Ende der Bearbeitungskette beide Ergebnisse miteinander zu vergleichen.

Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? Ausgangsfoto mit PC-E NIKKOR 24 mm 1:3,5D ED. Foto: Klaus Schoerner

Oben das Ausgangsbild mit dem PC-E NIKKOR 24 mm 1:3,5D ED in unbearbeitetem Zustand. Die Perspektive wurde am Kameramonitor durch eine Verschiebung um 11 mm nach oben ausgeglichen. Die Aufnahmeblende war 11, was bei dem Objektiv dem Sweet Spot entspricht.

Nachfolgend unten das Ausgangsbild mit dem AF-S NIKKOR 14–24 mm 1:2,8G ED bei 24 mm in unbearbeitetem Zustand. Das Objektiv wurde aus der Horizontalachse etwas nach oben geschwenkt, um das Gebäude komplett zu erfassen. Dadurch kippen die Senkrechten im Bild in eine Fluchtpunkt-Perspektive. Die Aufnahmeblende war 11, die auch beim Zoom den Sweet Spot darstellt.

Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? Ausgangsfoto mit AF-S NIKKOR 14–24 mm 1:2,8G ED bei 24 mm. Foto: Klaus Schoerner

Als nächstes nun unten das Shift-Foto nach dem Entwicklungsprozess in LIGHTROOM und PHOTOSHOP. Das Original-Foto hat noch immer die Größe von 4928 x 3280 px.

Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? PC-E NIKKOR 24 mm 1:3,5D ED. Foto: Klaus Schoerner

Es folgen unten das entsprechende, mit dem 14-24er aufgenommene Foto sowie ein Screen Shot aus dem Bearbeitungsprozess. In PHOTOSHOP wurde eine Perspektiv-Korrektur durchgeführt, während der die Motivsenkrechten auch im Foto senkrecht ausgerichtet wurden. Die obere Bildhälfte wurde dadurch gedehnt, die untere gestaucht. Die Stauchung führt zu einem Materialverlust in Höhe von etwas mehr als 9%, das finale Foto hat eine Größe von 4492 x 3280 px und ist damit weniger querformatig als das Original, zeigt im Vordergrund aber auch mehr Boden.

Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? Foto mit AF-S NIKKOR 14–24 mm 1:2,8G ED bei 24 mm nach Korrektur. Foto: Klaus Schoerner
Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? Foto mit AF-S NIKKOR 14–24 mm 1:2,8G ED bei 24 mm. Korrekturprozess. Foto: Klaus Schoerner

Das folgende Bildpaar unten zeigt ein Detail ungefähr aus der Bildmitte in 100%-Ansicht. Der Vergleich des Shift-Fotos (links) mit dem Zoom-Foto (rechts) ist allerdings unspektakulär. Die Detailwiedergabe ist auf gleichermaßen hohem Niveau. Die etwas geringere Größe des 14-24er Fotos ist wie oben beschrieben eine Folge der Perspektiv-Korrektur.

Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? 3,5/24mm PC-E versus AF-S 2,8/14-24 mm. Bildmitte. Foto: Klaus Schoerner

Ähnlich sieht es auch bei dem unten folgenden Ausschnitt vom linken Rand aus. Ein Gewinner ist hier nicht auszumachen. Das Shift-Foto (links) zeigt die Blätter des Baums unschärfer, was aber für unseren Vergleich keine Rolle spielt. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Wind aufgekommen, der bei der 1/13 Sekunde Belichtungszeit für etwas Bewegungsunschärfe sorgte.

Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? 3,5/24mm PC-E versus AF-S 2,8/14-24 mm. Bildrand links. Foto: Klaus Schoerner

Beim nun folgenden Vergleich der Detailauflösung beider Fotos offenbart die 100%-Ansicht des oberen Bildrands den einzigen gravierenden Unterschied. Interessanterweise ist es jedoch nicht das nachträglich korrigierte Foto des 14-24ers, das durch die Dehnung des oberen Bildbereichs eine verminderte Detailschärfe zeigt. Stärker ins Gewicht fällt, dass das Shift-Foto (links) aufgrund der extremen Verschiebung des Objektivs an dieser Stelle bereits randnahe Bereiche des Bildkreises nutzt, in denen die Detailzeichnung weicher ausfällt. 

Praxis-Test Architekturfotografie: Perspektivkorrektur per Shift oder Photoshop? 3,5/24mm PC-E versus AF-S 2,8/14-24 mm. Bildmitte oben. Foto: Klaus Schoerner

Fazit:

Wer (so wie ich) erwartet hat, dass das interpolierte Foto gegenüber seinem Kontrahenten Qualitätsnachteile aufweist, wird enttäuscht. Im Hinblick auf Detailauflösung sind beide Ergebnisse kaum voneinander zu unterscheiden. Soweit dem Shift-Objektiv eine Verschiebung bis zum Anschlag zugemutet wurde, ist das Foto in den Randbereichen sogar unschärfer als sein PHOTOSHOP-Pendant. Zu Lasten des nachträglich "entzerrten" und dadurch zwangsläufig in der Breite beschnittenen Bildes geht immerhin ein Verlust an Bildsubstanz, der im vorliegenden Fall knapp 10% ausmacht. Das Bild zeigt veränderte Proportionen und muss stärker vergrößert werden, um das Gebäude in der gleichen Größe abzubilden wie das Shift-Foto.

Wird der Einsatz von Shift-Technik bei der Aufnahme von Architektur also obsolet? So weit würde ich nicht gehen. Selbst wenn wir mal außen vor lassen, dass ein Shifting bei der Aufnahme in vielen Fällen weniger zeitaufwändig sein dürfte als die entsprechende Nachbearbeitung. Der vorliegende Test beschränkt sich in seiner Gültigkeit auf die beiden betreffenden NIKON-Objektive und die geschilderten Aufnahmebedingungen. 

Was wir daraus lernen können, ist die Erkenntnis, dass eine Verlagerung der Perspektiv-Korrektur in den Prozess der Bildnachbearbeitung nicht zwangsläufig zu schlechteren Ergebnissen führen muss. Das Shifting bei der Aufnahme dagegen bringt nur dann Vorteile, so lange die Grenzen der Objektiv-Abbildungsleistung mit dem Verschiebungsspielraum nicht ausgereizt werden. Wo diese Grenzen liegen und welche zum Bildkreisrand hin abnehmende Schärfeleistung noch toleriert werden kann, wird bei jedem infrage kommenden Objektivtyp individuell auszutesten sein.


Copyright 2017 by Klaus Schörner / www.bonnescape.de

(Dank an Andreas Fein für das Aufmacherfoto.)


Beiträge mit ähnlichen Themen:



Kommentar schreiben

Kommentare: 15
  • #1

    franzmann (Donnerstag, 26 Oktober 2017 10:37)

    Danke für den Feed. Ich habe zwar keines der beiden Objektive, nehme das überraschende Ergebnis aber mal zum Anlass, mit meinen Optiken nachzuprüfen.
    mfg
    Frank

  • #2

    Udo Afalter (Donnerstag, 21 Dezember 2017 17:18)

    Ich nehme beides, Shiftobjektiv und ein Software Programm namens Shift N von Markus Hebel. Die Software merzt meine kleinen "Ungenauigkeiten" beim Ausrichten der Kamera komplett aus.

    Viele Grüße, Udo

  • #3

    Klaus (admin) (Donnerstag, 21 Dezember 2017 20:59)

    Hallo Udo,
    das scheint mir eine gute Lösung des Problems zu sein. Vor allem, wenn es dadurch gelingt, sowohl die Verschiebung des Objektivs als auch die Nachkorrektur im moderaten Bereich zu halten.
    VG, Klaus

  • #4

    Renzo Dohm (Mittwoch, 16 Januar 2019 20:54)

    "Soft spot"? Ist eher die Schwäche für etwas. Ist nicht eher "Sweet spot" gemeint? Oder wie wär's mit "Schokoladenblende"?

  • #5

    Klaus (admin) (Mittwoch, 16 Januar 2019 21:50)

    @Renzo: Wow, hab ich "Soft Spot" geschrieben? Ja tatsächlich! Natürlich ist "Sweet Spot" gemeint. :-))
    Danke für den Hinweis. Das werde ich nachträglich korrigieren.

  • #6

    Renzo Dohm (Sonntag, 30 August 2020 13:10)

    Inzwischen der zweite Vergleich zwischen Shift-Aufnahme und nachträglicher Shift-Korrektur, den ich lese (leider weiß ich nicht mehr, wo der erste war) und der zugunsten des normalen Objektivs ausging. Was noch berücksichtigt werden muss: dass hier eine Festbrennweite mit einem (wenn auch sehr teuren) Zoom verglichen wurde, was den Erfolg des Zooms umso bemerkenswerter macht -- und besonders, da die meisten Zooms bei der kürzeren Brennweite ihre beste Leistung zeigen.
    Ich fotografiere Immobilien in Frankfurt, vornehmlich mit Nikons 16-35/4. Frankfurt ist zwar eine Großstadt, aber mit engen Straßen. Darum bekommt man hier mit 24 mm selten das ganze Gebäude drauf.
    Preis, Anwendbarkeit und Bildqualität -- der Vergleich geht ziemlich ungünstig fürs Shift-Objektiv aus.

  • #7

    Roberto (Sonntag, 30 August 2020 16:06)

    Wenn 24 mm nicht ausreichen, gibt es ja noch das 19 mm PC-E. Was der Autor hier vergleicht, ist die IQ beim Ausgleich stürzender Linien. Ein PC-E kann ja noch mehr, wie das Schenken von Schärfeebenen und das Shiften als Mittel, um an einem Hindernis vorbei zu fotografieren. Bloß muss man das nicht mit herkömmlichen Objektiven vergleichen, weil das eben nur ein Shift/Tilt Objektiv kann.

  • #8

    Dierk (Freitag, 11 Juni 2021 23:19)

    ich hatte beide Objektive, nach dem Übergang auf Sony aber beide verkauft und jetzt Canon 17mm und 24mm TS-E. Bei dem PC-E wird es ähnlich sein wie bei den TS-E Objektiven, es wird auf der Langen Seite nur 8mm empfohlen.
    Es wäre vielleicht eine Option, bei dem 24mm PC-E nicht das volle shift auszureizen, sondern einen Mittelweg zu nehmen und max. 8mm shiften und dann wie bei dem 12-24mm in der Nachbearbeitung auszurichten.
    VG Dierk

  • #9

    Detlef (Mittwoch, 01 Dezember 2021 15:31)

    Hi,
    gerade zufällig auf Deinen Artikel gestoßen - schön geschrieben. Ein, für mich wesentlicher, Aspekt fehlt mir allerdings: ich nutze meine Shift-Objektive in erster Linie aus dem Grund, dass ich bei der Aufnahme das spätere Bild sehe und mir nicht "vorstellen" muss, wie das Bild voraussichtlich nach der Bearbeitung wirkt. Bei Architekturaufnahmen ist das ausgesprochen wichtig.
    LG Detlef

  • #10

    Klaus (admin) (Mittwoch, 01 Dezember 2021 19:59)

    Hallo Detlef,
    danke für dein positives Feedback und den zusätzlichen Gesichtspunkt.
    Ja, das kann je nach Arbeitsweise durchaus auch ein Argument für die Kameraverstellung bei der Aufnahme sein.
    LG, Klaus

  • #11

    Klaus-Martin (Samstag, 10 Dezember 2022 15:57)

    Ich habe kein Shift-Objektiv, nur ein UWW-Objektiv. Ich versuche schon bei der Aufnahme möglichst keine stürzenden Linien zu erzeugen, indem die Kamera möglichst parallel zum Boden ausgerichtet wird. Dadurch befindet sich mein Objekt meist im oberen Drittel des Bildfeldes. In der Bildbearbeitung schneide ich lieber zuviel Boden weg, als das Bild hinterher übermäßig zu korrigieren.

    Was mir übrigens aufgefallen ist: bei Deiner manuellen Korrektur ziehst Du nur die oberen Bereiche in die Breite. Dadurch wird das Objekt aber gleichzeitig gestaucht. Um die Proportionen beizubehalten, muss man die Kante auch nach oben ziehen. Das bedarf etwas Übung, weil man beim Fotografieren berücksichtigen muss, daß man oberhalb des Objektes noch Platz (zB Himmel) braucht, der dann wegfällt.

    LG Klaus-Martin

  • #12

    Klaus (admin) (Samstag, 10 Dezember 2022 21:03)

    @ Klaus-Martin: Das Vermeiden stürzender Linien mit einem Super-oder Ultraweitwinkelobjektiv durch Parallelstellung der Bildebene zur Objektebene und Wegschneiden des ungenutzten Bildbereichs ist eine Möglichkeit, wenn man auf Shiften oder nachträgliches Korrigieren verzichten möchte. Ganz so anders als das Shiften ist es natürlich nicht, weil man in beiden Fällen mit dem relevanten Bildteil den Bildkreis des Objektivs ausreizt und damit typische Abbildungsschwächen im Randbereich in Kauf nimmt. Zudem bringt ein extremes Weitwinkelobjektiv gerade am Rand häufig noch typische Verzerrungen mit ein, die man in der Architekturfotografie eigentlich nicht so gerne hat. Auch das planmäßige Wegschneiden wesentlicher Bildfläche – in analogen Zeiten völlig undenkbar – ist nicht immer zielführend, insbesondere, wenn man für große Formate fotografiert.
    Wenn du genau auf den Photoshop-Screenshot schaust, sieht du, dass ich nicht nur den oberen Bildbereich verbreitert, sondern gleichermaßen den unteren Bereich verschmälert habe. Wenn dabei die beiden mittleren Anfasspunkte der korrigierten Bildkante zugleich auf den bisherigen Bildkanten liegen, ist die Entzerrung gleichmäßig und eine unnötige Stauchung wird vermieden.

    LG, Klaus

  • #13

    Thomas (Dienstag, 05 März 2024 21:12)

    Danke für diesen aussagekräftigen Vergleich.

  • #14

    Dan, Fotograf Bern (Donnerstag, 02 Mai 2024 10:44)

    Lieber Klaus,
    Danke für den tollen Artikel. Ich habe bisher immer auf die Software gebaut, um die Perspektiven in der Architekturfotografie grad zu stellen. Die Möglichkeit, das Bild schon im Sucher und dem LED "richtig" zu sehen überzeugte mich aber, auch mal ein Tilt Shift Objektiv auszuprobieren. Seither habe ich das Canon 17mm und 24mm TS-E und ich bin begeistert, auch wenn ich trotzdem noch fast immer etwas im der Nachbearbeitung zu korrigieren habe.
    Grüsse aus Bern
    Dan

  • #15

    Klaus (admin) (Donnerstag, 02 Mai 2024 14:08)

    Hi Dan,
    danke für dein positives Feedback.
    Mit den 17er und 24er TS-E hast du was wirklich Feines.
    Eine minimales Finetuning in der Postproduktion würde ich als normal ansehen. Am großen Monitor sieht man Details dann doch noch etwas präziser.
    Frohes Schaffen!
    Klaus