Was ist eigentlich: Hyperfokaldistanz?

Was ist eigentlich: Hyperfokaldistanz?

Landschaftsaufnahme Baum im Wind. Hyperfokaldistanz. Foto: Dr. Klaus Schörner

Angenommen, wir wollen ein Landschaftsfoto so aufnehmen, dass von einem Baum im Vordergrund bis zu einer Häusergruppe im Hintergrund alles scharf abgebildet wird. Auf den Baum vorn oder die Gebäude ganz hinten zu fokussieren, wäre dann keine gute Idee. Stattdessen stellen wir die Kamera auf eine Entfernung irgendwo dazwischen ein, um die Schärfentiefe des Objektivs besser auszunutzen. Und da gibt es tatsächlich eine bestimmte Entfernungseinstellung, mit der wir über den gesamten gewünschten Bereich ein bestmögliches Schärfeergebnis erzielen. Diesen Entfernungswert nennt man Hyperfokaldistanz. 

Ist mein Bild damit automatisch scharf?

Nein, nicht unbedingt. Ob uns das oben erwähnte "bestmögliche" Schärfeergebnis am Ende ausreicht, hängt auch noch von anderen Faktoren ab: Brennweite des Objektivs, eingestellte Blende, Aufnahmeformat, Sensor- oder Filmauflösung. Und schließlich spielt auch die Größe des später ausgedruckten Fotos eine Rolle, da diese Einfluss hat auf den Abstand, mit dem wir das Bild üblicherweise anschauen. Dieser ist bei einer kleinen Abbildung im Fotoalbum ein anderer als bei einem großen, an der Wand hängenden Print. Und manche Bilder, die aus der Entfernung scharf wirken, sind bei Nahem betrachtet dann doch nicht mehr so knackig. Möchte man später an das gerahmte Foto ganz nah heran gehen, mit den Augen im Bild spazieren gehen und Details anschauen, sind die Anforderungen an die Bildschärfe nochmal höher.

Demnach ist also allein mit der mehr oder weniger exakten Einstellung der Hyperfokaldistanz der gewünschte Bildbereich noch nicht zwangsläufig so scharf, wie man sich das wünscht. Man erfüllt damit lediglich eine von mehreren Voraussetzungen. Ein wesentliches weiteres Kriterium ist die Schärfentiefe. Darunter versteht man bei einer bestimmten Entfernungseinstellung die Größe des Bereichs davor und dahinter, in dem ebenfalls noch akzeptabel scharf abgebildet wird. Um dieses "akzeptabel scharf" zu verstehen, müssen wir uns vor Augen führen, dass ein Objektiv im optischen Sinne immer nur eine Ebene in der Tiefe richtig scharf abbildet. Alles davor oder dahinter ist also bestenfalls einigermaßen scharf. Die Schärfentiefe ist dabei abhängig von der Objektivbrennweite, der Objektivöffnung und dem Entfernungsbereich, in dem sich unser Motiv befindet. Tendentiell gilt: Je länger die Brennweite, je lichtstärker das Objektiv bzw. offener die Blende und je näher die eingestellte Entfernung, desto geringer ist die Schärfentiefe. 

Verwendung der Schärfentiefe-Skala am Objektiv zur Ermittlung der Hyperfokaldistanz. Foto: bonnescape.de

Oben: Arbeiten mit der Schärfentiefeskala. Zu der gewählten Blende 11 zeigt die Skala an der linken und der rechten Markierung für die Blende 11 (siehe gelbe Pfeile) den Entfernungsbereich, der im Bild akzeptabel scharf erscheinen wird. Im abgebildeten Beispiel von etwa 1,6 m Entfernung bis Unendlich. Die ermittelte Hyperfokaldistanz (weißes Dreieck) liegt bei etwas über 3 m. Man sieht, dass Blende 8 für den beschriebenen Zweck nicht ausreichen und Blende 16 zusätzliche "Schärfereserven" liefern würde.

Wie bekomme ich mein Bild denn nun scharf?

Das scheint also alles ziemlich kompliziert. Wir haben mehrere Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen, die vom individuellen Einzelfall abhängen und die wir eventuell noch gar nicht kennen. Möglicherweise wissen wir auch noch nicht, wie groß wir am Ende drucken, und möchten das Bild daher so scharf aufnehmen, dass wir später alle Möglichkeiten haben. Wie wenden wir die Erkenntnisse also an, um unser Bild so scharf zu bekommen, wie wir uns das vorstellen? 

Tatsächlich kann man die Hyperfokaldistanz mit einer Formel berechnen. Als angehender Fotograf lernt man in der Berufsausbildung, wie das geht. Um das Fotografieren on Location zu erleichtern und für diejenigen, die sich lieber aufs Motiv konzentrieren als rechnen, sind viele Objektive und Kameras auch mit Skalen ausgestattet, mit denen man die Schärfentiefe und die hyperfokale Distanz passend zu der gewählten Blende ermitteln kann. Umgekehrt kann man an derartigen  Skalen auch ablesen, welche Blende man denn zusätzlich zur korrekten Scharfstellung braucht, um zum Beispiel vom Baum bis zum Hintergrund alles akzeptabel scharf abzubilden. 

Alternativ lässt sich auch ein Smartphone zur Ermittlung dieser Parameter einsetzen. Man findet entsprechende Apps in den üblichen Stores mit Suchbegriffen wie z.B. "Hyperfocal", "DOF" (depth of field) oder "Schärfentiefe". 

Hyperfokaldistanz, Berechnung mit dem Smartphone. Screenshot Magic Film Viewfinder, Version 1.7.4, © Roman Medvid

Oben: Bestimmung von Hyperfokaldistanz und Schärfentiefe mit einer Smartphone-App (Beispiel: Screenshot Magic Film Viewfinder, Version 1.7.4, © Roman Medvid). Mit Schiebereglern wird rechts die Brennweite, unten die Blende und links die Hyperfokaldistanz eingestellt. Mit diesen drei Werten kann man die Position der Markierungen im Fenster interaktiv beeinflussen. Die blauen Marken zeigen dann passend zu den Einstellungen die Schärfentiefe an.

Steht keines dieser Hilfsmittel zur Verfügung, hat sich in der Praxis eine Faustregel bewährt: Man schätzt oder misst den Abstand der Kamera bis zum vordersten Bildelement, das scharf erscheinen soll, und fokussiert dann manuell oder mit entsprechend platziertem Autofokus-Messfeld auf die doppelte Entfernung. Schließlich wählt man die kleinstmögliche Blende, die sich unter den gegebenen Bedingungen für eine Aufnahme ohne Verwacklung und passend zur Schärfeleistung des Objektivs anbietet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass praktisch jedes Objektiv einen sogenannten "Sweet Spot" hat. Darunter versteht man die Blendeneinstellung, bei dem das Objektiv seine beste Abbildungsleistung liefert. Häufig erreicht man diesen Wert durch Schließen der Blende um zwei bis drei Stufen. Benötigt man mehr Schärfentiefe, kann man die Blende weiter schließen, jedoch möglichst nicht bis zum Anschlag. Ein Abblenden bis zur höchsten Blendenzahl ist selten zu empfehlen, weil dann zwar die Schärfentiefe ihren Maximalwert erreicht, die Gesamtschärfe durch Beugungseffekte an der winzigen Blendenöffnung aber wieder abnimmt.

Grafik zur Erläuterung der Hyperfokaldistanz. Copyright bonnescape.de

Oben: Schema zur Bestimmung der Hyperfokaldistanz nach der 2a-Faustregel. Dabei stellt man auf eine Ebene (rote Linie) scharf, die sich doppelt so weit von der Kamera entfernt befindet wie das vorderste Bildelement, das im Bild scharf erscheinen soll.

Kleiner Exkurs: Fixfokuskamera

Der eine oder andere von uns ist damals vielleicht mit einer einfachen analogen Kamera in die Fotografie eingestiegen, mit der man gar nicht scharf stellen konnte. Das kann eine Boxkamera gewesen sein, eine Sofortbild- oder Pocketkamera, eine Instamatic oder irgendeine andere Ritsch-Ratsch-Klick-Kamera. In den Bildern war dann im Bereich von vielleicht 2 m bis Unendlich alles so einigermaßen scharf – zumindest, wenn man sich auf handliche Vergrößerungsformate beschränkte. Derartige Fotoapparate ohne Scharfstellmöglichkeit nennt man Fixfokuskameras. Sie arbeiten nach dem Hyperfokalprinzip und sind auf eine feste Entfernung eingestellt, die zwischen dem angegebenen Nahbereich und Unendlich liegt. So richtig scharf wird dann weder das eine noch das andere abgebildet. Damit die Schärfentiefe aber für ein annehmbares Schärfeergebnis ausreicht, sind die ein- oder zweilinsigen Objektive klein und nicht besonders lichtstark. Da die Filme damals nicht  sehr empfindlich waren und man zwecks besserer Bildqualität auch größere Aufnahmeformate verarbeiten wollte, gibt es aus dieser Zeit Einsteigerkameras mit größeren, lichtstärkeren Objektiven, die dann aber weniger Schärfentiefe haben. Um das zu kompensieren, kann man bei diesen Kameras durch die Einstellung von Entfernungsbereichen wie zum Beispiel "Portrait – "Gruppe" – "Landschaft" zwischen mehreren Hyperfokaldistanzen wählen. An die Schärfeleistung eines präzisen, stufenlosen Fokussierens kommt das allerdings nicht heran.

Kodak Instamatic 133 Camera, Frontansicht, Fixfokuskamera. Foto: bonnescape.de

Oben: Die Kodak Instamatic 133 Camera ist eine Fixfokus-Kamera zum Herstellen von 24x24mm Bildern auf 126er Kassettenfilm. Das Modell wurde in der Zeit von 1968 bis 1970 in großen Stückzahlen hergestellt.

Bakelitkamera Envoy Optima, Frontansicht, Arbeit mit zwei Hyperfokaldistanzen. Foto: bonnescape.de

Oben: Die Envoy Optimax aus dem Jahr 1953 belichtet vergleichsweise riesige Bilder im Format 6x9cm auf Rollfilm. Um die Hyperfokaldistanz ein wenig an das Motiv anzupassen, kann man durch einfaches Herausziehen des Objektivs um 4 mm vom Übersichtsmodus "View" in den Nahbereich "Portrait" wechseln.


Copyright 2022 by Klaus Schörner / www.bonnescape.de


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Kommentare: 4
  • #1

    Manu (Dienstag, 22 Februar 2022 10:05)

    Der Übergang zur "richtigen" Scharfstellung mit Einstellschnecke ist fließend. Ich habe eine Voigtländer Brillant, bei der man das Objektiv zum Fokussieren einen kurzen Weg herausdreht. Eine Markierung durchläuft dabei die Bereiche Landschaft, Gruppe, Porträt.

  • #2

    Roman (Mittwoch, 23 Februar 2022 08:53)

    Hallo zusammen, ich gehe vom Prinzip immer mit der 2A Regel vor. Ob das aber immer exakt 2a ist, bezweifle ich. Ich stelle vorn scharf und drehe dann noch ein wenig weiter. Danach so weit wie möglich abblenden. Normalerweise passt das dann. Wenn ich die OM-D dabei habe, gibt es keine Probleme mit der Schärfentiefe wegen dem kleinen Sensor. Eine Handy App nutze ich nicht. Die OM ist kaum größer als mein Handy und so viel Präzision braucht es bei MFT nicht. Mit zwei Geräten zu hantieren, ist mir zu umständlich. Ein Stativ nehme ich auch nur selten mit. Ich möchte kompakt unterwegs sein. Allerdings mache ich auch keine Metervergrößerungen.

  • #3

    b.servicer (Sonntag, 27 Februar 2022 14:36)

    Leider stimmen die Schärfentiefeskalen oft nicht. Da gibt es dann Abweichungen zur Berechnung oder zu den Angaben der App. Bei wenig Schärfentiefe im Nahbereich oder bei großem Negativformat kann das dann schon stören.

  • #4

    anonymous (Donnerstag, 03 März 2022 09:09)

    Kleine, ungenaue Skalen finden sich öfters auf kleinen Objektiven und die sind dann lichtschwach und haben eine große Tiefenschärfe, so dass die Skalen auch gar nicht so präzise sein müssen.